Erleichtert Digitalisierung die Gleichstellung?

Neulich beteiligte ich mich an einer Diskussion auf LinkedIn zum Thema weibliche Führung. Ich staune immer wieder, wie sich die Gleichstellungsdebatte in diesem digitalen Zeitalter immer noch um grundlegende Fragen dreht, wie Arbeitszeiten, familiäre Verpflichtungen, ob Frauen es sich zutrauen Führungsrollen zu übernehmen, oder wie sie in diesen Rollen wahrgenommen werden, usw.

Wir befassen uns selten mit der Beziehung zwischen digitaler Transformation und Geschlecht, entweder weil wir denken, dass die digitale Transformation geschlechtsneutral ist, oder weil wir die digitale Transformation nicht geschlechtsspezifisch betrachten. Obwohl viele der Probleme im Gleichstellungsbereich nicht neu sind, wäre es ein Fehler, sie bei der Digitalisierung zu vernachlässigen.

Google wurde von UN Women wegen seiner geschlechtsspezifischen Autovervollständigung bei Suchanfragen kritisiert. Schaut Euch das Bild oben an. In der englischen Version dieses Blogs ist dies nicht mehr der Fall. Die deutsche Version ist offensichtlich noch nicht so weit… (das Bild in diesem Blog-Beitrag stammt von heute).

KI ist nicht neutral!!!

Es wird viel Vertrauen (und Geld) in die künstliche Intelligenz (KI) als Zukunftstechnologie gesetzt. Das ergibt Sinn, da die KI die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle beschleunigt hat. 

Eine gängige Methode im maschinellen Lernen ist der „Nächste-Nachbarn-Klassifikator„, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Nutzer*innen bewertet, um deren Verhalten vorherzusagen. Viele Geschäftsmodelle sind darauf angewiesen, dass ihre Technologie Musik- oder Kleidungsvorschläge macht (weil Menschen, die uns ähnlich sind, auch diese mögen). Jedoch stellt dies eine ganz andere Herausforderung dar, wenn die Technologie Entscheidungen über Menschen in anderen Bereichen, wie Arbeitsmarkt, Gesundheit usw. trifft.

Vor ein paar Jahren hat Reuters ein KI-Tool aufgedeckt, das von Amazon für die Rekrutierung verwendet wurde und Frauen benachteiligt hat. Basierend auf Daten aus der Vergangenheit, lernte es, dass männliche Kandidaten öfter rekrutiert werden als Frauen. Somit brachte sich das System bei, dass Männer die bevorzugten Kandidaten sind, und begann, ein geschlechtsspezifisch voreingenommenes Muster zu reproduzieren.

Ich wäre froh, ein Rekrutierungsinstrument zu sehen, das schlecht geschriebene Stellenausschreibungen ersetzt. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die KI keine einfache Lösung ist.

Nicht nur Privatunternehmen sind davon betroffen. Öffentliche Dienste beginnen zunehmend, sich auf digitale Profiling-Werkzeuge zu verlassen, um Entscheidungen über die Bereitstellung sozialer Dienste zu treffen. Einige Arbeitsvermittlungsagenturen verwenden solche Tools, um die Position ihrer Kund*innen auf dem Arbeitsmarkt vorherzusagen.

Die Frage ist, ob KI bessere Entscheidungen treffen kann?

Wenn jemand wegen seiner Arbeitssituation stigmatisiert wurde (z.B. eine Mutter in Elternzeit), könnte die KI eine schwierigere Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt „vorhersagen“ und damit diese Stigmatisierung aufrechterhalten.

Die KI  kann eine nützliche Technologie sein, wenn es darum geht, unsere Erfahrungen beim Einkauf von Musik, Kleidung usw. zu verbessern. Wir müssen aber vorsichtig sein, wenn sie zur Beurteilung von Menschen eingesetzt wird!

Recht auf Homeoffice fördert Frauenkarrieren

Das Thema Homeoffice wurde noch nie so viel diskutiert wie in den letzten Monaten. Aufgrund der Corona-bezogenen Empfehlungen zur sozialen Distanzierung mussten viele von uns praktisch von zu Hause aus arbeiten.

Allerdings ist die Nutzung von Homeoffice nicht gleichmäßig auf die Geschlechter verteilt. Laut des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit wechselten Frauen mit 28 Prozent häufiger ins Homeoffice als Männer mit 17 Prozent. Das hat mit der Art der Tätigkeiten zu tun: während Männer vor allem in der Produktion arbeiten, haben Frauen vor allem Verwaltungsaufgaben, die sich leichter von zu Hause aus erledigen lassen; das hängt aber auch mit den Betreuungsaufgaben zusammen. Kritiker weisen daher zu Recht darauf hin, dass die aktuelle Situation die Gleichstellung der Geschlechter beeinträchtigen kann, da sie aufgrund der geschlossenen Schulen und Kindergärten zur Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen zu Hause beitragen kann.  

Allerdings sind die positiven Aspekte nicht zu vernachlässigen. So erweiterte die Corona-bezogene Situation die Nutzung von Homeoffice in Unternehmen, in denen dies vorher nicht möglich war. Es ist jedenfalls besser für die Karrieren von Frauen, im Homeoffice tätig zu sein, als gar nicht zu arbeiten (d.h. offiziell nicht auf dem Arbeitsmarkt zu sein und sich stattdessen voll und ganz für die Pflichten zu Hause zu entscheiden). Wenn also mehr Unternehmen Fernarbeit als „normal“ akzeptieren, würden auch mehr Männer das Homeoffice häufiger in Anspruch nehmen.

Es wäre daher gut, wenn diese Verpflichtungen über die Krise hinausgehen. Ein angemessener Rechtsrahmen, wie beispielsweise das vom Arbeitsminister Hubertus Heil vorgeschlagenes Recht auf Homeoffice, könnte die notwendigen, gleichen Bedingungen für alle Beteiligten schaffen.

Digitale Kompetenzen sind mehr als Informatik

In meinem Blog zur ethischen Entscheidungen in der digitalen Welt habe ich darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, neuen Technologien zu kennen, und zwar die grundlegende Bedeutung ihrer Begriffe und die Folgen ihrer Nutzung. Die zitierte Studie D21-Digital-Index zeigt, dass es Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Befragten zum Nachteil der Frauen gibt. Dies beschränkt sich nicht nur auf das Kenntnis bestimmter Begriffe, sondern streckt sich auf ihre Kompetenzeinschätzung. In allen Altersgruppen liegt der Digitalkompetenzindex bei Frauen 7 bis 9 Punkte niedriger als bei Männern. Der Professorin Barbara Schwarze zufolge ist das möglicherweise ein Ergebnis der Zusammensetzung des Kompetenz-Index bzw. damit verbunden, dass Männer, wie bei anderen Kompetenzen, auch ihre digitalen Kompetenzen überschätzen, während Frauen sie unterschätzen. Auch Technikorientierung wird bekannterweise eher Männern zugeschrieben. Dabei ist das keine angeborene Fähigkeit.

Die Heimcomputer wurden in den 80er Jahren fast ausschließlich an Männer vermarktet. Familien kauften Computer eher für Jungen als für Mädchen. Es war nicht die Technologie, sondern die von uns geschaffenen Geschlechtervorurteile, die die Gleichstellung in der digitalen Welt behindert haben.

Auch wenn sich die Gender-Debatte heute primär darum dreht, mehr Frauen für ein Informatik-Studium zu gewinnen, finde ich es sehr wichtig, die weibliche Perspektive in alle Aspekte der digitalen Transformation einzubeziehen (nicht nur beim Schreiben von Algorithmen).

In ihrem Quick Guide Female Leadership schreibt Simone Burel darüber wie die digitalen Kommunikationswege „klassische Gesprächsmechanismen, direkte Ausgrenzungserfahrungen und damit auch Geschlechterrollen mehr und mehr verschwimmen lässt„. Ich glaube, es ist ein prüfenswerter Ansatz.

Ist es Euch aufgefallen, wie die online Meetings der letzten Monate einem strukturierten Ablauf folgen? Es ist schwerer jemandem ins Wort zu fallen als bei Präsenzmeetings. Die Moderation achtet auf die Einhaltung der Redezeit. Und auch wenn man/frau sich nicht meldet, ist es dennoch leichter im chat zu Wort zu kommen.

Frauen können von einer solchen digitalen Kommunikationskultur profitieren.

Mein Fazit

Die Antwort auf die Frage, ob die Digitalisierung die Gleichstellung erleichtert: JEIN!

Unsere gesellschaftlichen Werte übertragen sich auch in die digitale Welt.

Es liegt an uns, als Gesellschaft zu entscheiden, ob wir die neuen Möglichkeiten, wie z.B. Homeoffice und die digitalen Tools dafür einsetzten werden, um entweder die Geschlechtervorurteile aufrechtzuerhalten oder die Gleichstellung zu erleichtern.

Foto oben: Screenshot MS (inspiriert von der UN Women Kampagne)

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