Macht ein Abschluss in Ingenieurwissenschaften automatisch zukunftssicher? Immerhin ist Deutschland ein Vorreiter im technischen Bereich.
Diese Frage ist heutzutage nicht so eindeutig zu beantworten. Und das hat mindestens zwei Gründe:
Erstens, es kommt auf die Branche an. Viele Branchen durchlaufen derzeit tiefgreifende Veränderungen, die eine entsprechende Nachfrage nach Expertise hervorrufen. Die Digitalisierung stellt hierbei lediglich einen von mehreren Einflussfaktoren dar. Ein weiterer bedeutender Aspekt ist der Umweltwandel. So sucht die Automobilindustrie im Zuge der Umstellung auf Elektromobilität verstärkt nach Elektroingenieur:innen. Darüber hinaus führt der Übergang zu umweltfreundlichen Technologien zu einer wachsenden Nachfrage nach spezialisiertem Wissen in diesen Bereichen. Trends wie Smart Cities und Smart Agriculture haben ebenfalls tiefgreifende Auswirkungen auf das Bauingenieurwesen sowie das Agraringenieurwesen.
Zweitens, digitale Technologien und die Umstellung auf Industrie 4.0 verändern die Produktions- und Arbeitsprozesse. Die Einführung computergestützter Entwurfsverfahren hat den Ingenieurberuf bereits seit den 1960er Jahren maßgeblich geprägt. Der Einsatz von Computern und spezialisierten Softwareanwendungen hat zahlreiche Tätigkeitsfelder des Ingenieurwesens, darunter Konstruktion, Fertigung, Planung und Überwachung sowie Vertrieb, nachhaltig beeinflusst. Zudem hat diese Entwicklung die Automatisierung in der Produktion erheblich vorangetrieben.
Heute ist die Rede von Industrie 4.0 ➡️ „eine hochautomatisierte und vernetzte industrielle Produktions- und Logistikkette, [in der] virtuelle und reale Prozesse auf der Basis sogenannter cyberphysischer Systeme verschmelzen“ (Weißbuch Arbeiten 4.0 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales). Hier kannst Du mehr darüber erfahren.
Laut einer Befragung des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau besteht insbesondere in diesem Bereich ein erheblicher „Qualifizierungsbedarf„, der sowohl Studierende als auch Beschäftigte betrifft. Die identifizierten Kompetenzlücken beziehen sich auf Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, Machine Learning sowie Augmented und Virtual Reality. Darüber hinaus bestehen Defizite in den Bereichen Datenmanagement, IT-Sicherheit und Datenschutz.
Welche Kompetenzen für die Zukunft des Ingenieurwesens?
Auch unsere Untersuchungen im Bereich des Maschinenbaus belegen, dass die drei Säulen des Ingenieurberufs nach wie vor intakt sind:
- Fachkompetenz — ingenieurwissenschaftliche Grundlagen wie Mathematik, Physik, Werkstoffkunde, technische Mechanik und Konstruktionslehre sind nach wie vor das A und O des Maschinenbaus.
- Methodenkompetenz — umfasst analytische- und Problemlösungskompetenz aber auch die Beherrschung von Tools und Methoden, wie beispielsweise die Finite-Elemente-Methode.
- Selbst- und Sozialkompetenz — Team- und Kommunikationskompetenz haben einen großen Stellenwert, insbesondere Dank der Zunahme interdisziplinärer Zusammenarbeit in agilen Teams.
Hinzu gewinnen folgende Schnittstellen mehr an Bedeutung:
- Daten — neue Technologien ermöglichen die Erfassung, Speicherung, Übermittlung und Auswertung von größeren Datenmengen (Big Data) und das wirkt sich auf die Produkte, Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle aus. Darauffolgend braucht es auch Menschen, die die Daten analysieren können und die sich mit Datenschutz und Daten- bzw. IT-Sicherheit auskennen. Es ist wahrscheinlich, dass für diese Tätigkeiten weitere Spezialisten erforderlich sein werden. Nichtsdestotrotz wird es wichtig sein, dass Ingenieur:innen ein Grundverständnis besitzen.
- Systemdenken — umfasst die Fähigkeit ganzheitlich zu denken und Prozesse, Produkte und Kundenwünsche vom „Anfang“ bis „Ende“ zu durchdenken.
- Interdisziplinarität — da die Produkte und Prozesse digitaler und komplexer geworden sind, werden Ingenieur:innen aus einer Fachdisziplin Verständnis über andere Fachdisziplinen entwickeln müssen (z.B. Elektrotechnik, Informatik, Datenmanagement….)
- Lernen & gesellschaftliche Verantwortung — die technologische Entwicklung erfordert eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Menschen, weshalb ich Lernen als einen fortlaufenden Entwicklungsprozess ansehe. Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, die menschliche Dimension nicht zu vernachlässigen und die gesellschaftlichen sowie umweltbezogenen Herausforderungen, die mit technischen Fortschritten einhergehen, in den Blick zu nehmen.
Was sollten Ingenieurwissenschaftler*innen wissen?
Keine Angst, Du musst nicht alles können! Du solltest Dir aber im Klaren sein, dass sich das Profil der Ingenieur:innen ändert. Die Bereitschaft zum Lernen ist eine wertvolle Fähigkeit, unabhängig davon, ob Du gerade mit dem Studium anfängst oder bereits mitten in deiner Berufskarriere stehst. Unternehmen suchen nach Mitarbeitenden, die in der Lage sind, kritisch zu denken und ihr Wissen anzuwenden, um innovative Lösungen für Kundenprobleme zu entwickeln. Dies wird mir in Gesprächen von vielen Personalverantwortlichen bestätigt. Zudem sind sich zahlreiche Unternehmen bewusst, dass sie unterstützende Rahmenbedingungen schaffen müssen, anstatt lediglich Anforderungen zu formulieren.
Lebenslanges Lernen wird Teil der Weiterbildungskultur in deutschen Unternehmen werden müssen – das sieht auch die Nationale Weiterbildungsstrategie vor.
Wenn ich die obenstehende Grafik erneut betrachte, erkenne ich, dass dieses Prinzip nicht nur für die Ingenieurwissenschaften, sondern auch für andere Berufsfelder, einschließlich nicht-technischer Bereiche, Gültigkeit hat.
Es ist notwendig, dass wir alle ein vertieftes Verständnis für verschiedene Disziplinen entwickeln, den Umgang mit Daten beherrschen und die Fähigkeit besitzen, kontinuierlich zu lernen und unsere Handlungen zu beurteilen.
Wenn du mehr wissen möchtest, hier sind 2 Publikationen von mir zum Weiterlesen:
Employability und Fähigkeiten für die Zukunft der Arbeit am Beispiel des Maschinenbauwesens
Digitalisierung im Maschinenbau – Beruf im Wandel
Grafik oben: eigene Erstellung.
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